Ich erinnere mich an Tatsch* im Engadin. Meine Grosstante war eine füllige Frau und lebte im Haus meiner Grosseltern in einem kleinen Bergdorf im Oberengadin. Wir waren als Kinder jeweils dort und eben diese Grosstante war in dieser Bauernfamilie die Köchin. Immer etwa wieder machte sie aus altem Brot, Eiern, Milch und Zucker Tatsch, welchen sie in einer mit Butter geschwängerten, gusseisernen Bratpfanne goldbraun ausgebacken hat. Und obwohl der Teig schon gesüsst war, kam bei uns nochmals massig Zucker obendrauf und über alles staubten wir Zimt.
Dieser hat es in sich: Wenn du beim ersten Bissen einatmest, klebt dir der Zimt am Halszäpfchen und dieses erste Stück hustest du zurück auf den Tisch. Wenn ich eines gelernt habe als Kind, dann, das Zimt brandgefährliches Zeug ist. Aber geschmeckt hat er nach Weihnachten, nach Ferien, nach Familie, nach Geborgenheit. Wenn ich ihn heute nachkoche, dann schmeckt er immer noch fantastisch. Vielleicht etwas mehr nach Ei, jedoch immer noch sehr nach Kindheit im Engadin. aedu.be - Dezember 2022 (*Tatsch ist die Engadiner Form von Kaiserschmarrn)
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Ich bin grossartig. Majestätisch throne ich hoch über der Stadt und schaue seit Jahrhunderten auf diese herab. Ja, ich darf herabschauen. In meinem Alter gibt es kaum eine Geschichte, die ich nicht schon spätabends mitlauschen durfte, keine Stütze, die ich nicht schon einem Betrunkenen gewesen bin, und kein Unwetter, dem ich nicht widerstanden hätte. Aufgetürmt wurde ich 1346, als Bern noch ganz anders ausgesehen hatte. Einen Prunkbau wollten sie haben, die Berner. Und da für Prunkbauten zu dieser Zeit nur mal die Kirche gerade genug Geld hatte, wurde ich Stein für Stein zu dem, was sie heute als Nydeggkirche bezeichnen. Die erste Kirche der Stadt. Und da stehe ich nun – seit fast 700 Jahren und schaue auf die Stadt. Darum darf ich auch überheblich sein – so als Kirchenmauer.
Wären da nicht die vermaledeiten Stadttauben, die mich besuchen und sich unter lautem Gefiepe auf mir erleichtern. Ach, was spreche ich von Erleichtern: respektlos zuscheissen tun mich diese Viecher! Und wäre dies nicht genug, gehören sie auch noch zum geschützten Stadtbild und werden gehegt und gepflegt. Ein Monument wie ich gehört wohl zum Weltkulturerbe, was mich aber ganz offenbar nicht davor schützt, verschissen zu sein. aedu.be - Dezember 2022 Ich war immer mal wieder offline. Digital Detox. Mindestens von Facebook habe ich mich jedes Jahr mal zwei Monate distanziert. Jüngst in diesem Frühling für ein Vierteljahr. Und was habe ich vermisst? So… lass mich kurz nachdenken… nichts. Oder nichts mehr. Nach zwölf Jahren auf dieser Plattform habe ich halt entschieden, diese Plattform zu verlassen. Grund genug, meine heutige Facebookzeit in einen Text zu investieren. Aber zur Zeit komme ich noch. Wichtig ist hierbei eine korrekte Rechtschreibung: Der simple Satz «Komm wir essen, Opa» bekommt ohne sein Komma an der richtigen Stelle eine völlig kannibalistische Bedeutung. Verdammt, jetzt bin ich aber abgeschweift.
Ich war ein Facespätbookzünderdingsbums. Der Herr Zuckerhut hat diesen Verein 2004 gegründet, wenn man Google mal glaubt. Erst 2010 habe ich - nachdem alle zukunftsorientierten Freunde dies schon lange hatten - ein ebensolches Profil aufs Netz gestellt. Kommentare wie «was, du endlich auch hier» waren damals die Regel. Ich habe mich fast geschämt. Das wäre nicht nötig gewesen, wie sich herausstellt. Aber läck hatte ich eine Freude, als ich Freunde hatte! So richtige – vernetzt und zueinandergestanden durch dick und dünn und besiegelt bis in alle Ewigkeit mit einem Like. Ist das grandios! Und ist das… falsch! Warum nicht «nicht mehr schauen»? Wieso nicht die App auf dem Handy ignorieren? Einerseits hat es einen gewissen voyeuristischen Reiz, zu sehen, wer sich denn doch verlobt hat, wer vollends deprimiert seinen Veloschlüssel im Hirschengraben verloren hat und zum Mitsuchen aufruft und wer ein veganes Schnitzel isst, um damit ein unwiederbringbares Zeichen zur Erhaltung der Menschheit setzt, dies aber leider völlig unterbelichtet auf dem Drive-in-Parkplatz mit dem Interieur eines Dreier-BMW fotografiert und sich somit ökologisch sogleich wieder selbst besudelt. Und ob jetzt die Szene oder der Mensch dahinter unterbelichtet ist, sei allen selbst überlassen, hat aber diesmal weder mit Leerschlägen noch mit Kommas zu tun. Versprochen. Andererseits weil das «löschen», «verschenken», «wegschmeissen», «verkaufen» und «kündigen» so etwas gefreut Definitives hat und einem die Existenz so wohlig aufräumt. Wie bei den Kleidern: Was ein Jahr lang nicht getragen ist, kommt weg. Alles darf klar und leicht werden im Leben, dann kommt die Luftigkeit von alleine. In der zweiten Lebenshälfte muss ich mich mit Meeresfrüchten nicht mehr versöhnen – sie bereichern meinen Alltag nicht mal am Wochenende, ich finde sie eklig und ich denke, dass sie gerne im Meer bleiben dürfen. «Hummer – nein danke», «Käse, unbedingt»! Warum denn nicht bei digital ebenso so klar? Digiklar quasi. Und ich bin durchaus ein digitaler Mensch. Aber alt genug, um analoge Liebschaften einzugehen. Ich melde mich von dieser Plattform ab, weil sie mich nicht weitergebracht hat. Ich war dort nicht sonderlich bemüht. Ich habe nie das Mittagessen mit dem zwielichtigen Kommentar «hmmmmm» und einem Herzchen dahinter online gestellt. Mein kleines Büro hatte ich als Seite aber sofort nachgereicht sowie alle Bands und Konzerte, bei denen ich aktiv war. All dies habe ich in die Wolke gedrescht. Ein Türöffner wird es sein für die grosse, weite Welt. Das war es nicht. Vermutlich habe ich es falsch gehandhabt. Ich hätte wesentlich mehr Präsenz zeigen müssen. Jedes Mittagessen posten. Das generiert Likes und diese hätten zu neuen Freunden geführt. Aufgrund dieser Fans wäre der Auftritt am Gurtenfestival direkt vor der Türe gestanden. Ich lag so falsch. Ich melde mich von dieser Plattform ab, weil sie mir zu viel Zeit wegnimmt. Gehen wir mal zusammen davon aus, dass ich pro Tag 20 Minuten Facebook-Beiträge durchwische (sind wir mal ehrlich: zu lesen gibt es ja nichts). Und ich wische jetzt während eines ganzen Jahres solche Texte durch. Dann ergeben sich 121 Stunden im Jahr. Hunderteinundzwanzig, weil es schon ein relativ langes Wort ist. Klar - man mag zu Recht sagen: «Hey, Facebook ist meine Klo-Lektüre». Na, somit hast du 121 Stunden einerseits gemultitaskt und andererseits hatte diese Zeit eine befreiende, klärende Funktion für dich, die deiner Gesundheit zuträglicher ist, als es immer zu verklemmen wie auf einem Langstreckenflug zwischen Zürich und New York. Komm, wir rechnen weiter, macht grad spass: 121 Stunden im Jahr multipliziert mit den vierzig, die mir bleiben (bei guter Führung hoffe ich mal), das ergibt 4’840 Stunden. Viertausendachthundertvierzig Stunden - weil es ein noch beachtlicheres Wort ist. Was man damit so anstellen kann? Das sind über zweihundert komplette Tage mitsamt der ganzen Nacht dazu. Sieben Komplettmonate. Wir arbeiten - wenn wir es Vollzeit tun - etwa zweitausend Stunden pro Jahr. Dann sind das rund zweieinhalb Arbeitsjahre. Ich höre mit dem Rechnen blitzartig auf. Ich habe doch tatsächlich ein Viertel dieser Herleitung bereits mit Wischen verbracht – ob jetzt bei Facebook oder auf dem Klo. Ich melde mich von dieser Plattform ab, weil ich sie flach finde. Die Niederlande sind gegen Facebook mindestens die Voralpen. Viele meiner Menschen sehen das dem Anschein nach auch so, denn die Beiträge sind immer flacher und inhaltsleerer und darum nicht von ihnen, sondern vom Nachbarn der Freundin eines Arbeitskollegen dessen Vetters Tante. Wie ich nicht sofort auf diesen Facezug gesprungen bin, so bin ich heute eher zu spät ausgestiegen, so langweilig ists dort schon. Aber Hauptsache, ich steige aus eigener Überzeugung aus. Im Übrigen fahre ich lieber meinen persönlichen Zug. Einen, in den ich einsteigen und aussteigen lasse, wen ich möchte. Das ist mittlerweile ein mehrbesseres Marzilibähnli mit haufenweise Rost und einer alten Krokodillok vornedran, die aber zuverlässig wie ne Moore den Laden am Laufen hält. Und hinten ist alles stilvoll aufgeräumt, handverlesen und die Passagiere reisen bequem. Und wie Huber so treffend gesagt hat: «Wenn i weiss, wo d’Reis ändet, de gah ni nid». Ich melde mich von dieser Plattform ab! Nicht nur «Digital Detox» sondern «Digital Exit». Wenn sich zumindest eines meiner drei Argumente ins Positive wendet, so überlege ich es mir wieder. Ich habe nichts gegen dich, werter Zuckerhut. Nur zu viele Ideen im Kopf und zu wenig Zeit für dich, sorry. aedu.be - August 2022 Nicht der Götterbote. Vielmehr Hermes der Paketbote. Oder Hermes, die eiserne Lady.
Ich habe geschrieben, ich sei altbacken. Oldfashioned. Oh nein, keine Anglizismen mehr. Ich hasse sie. Aber ja, ich liebe es, mich mit dem Messer zu rasieren. Und ich liebe es, alte Musik zu hören. Und ich liebe es, das Zehnfingersystem nicht zu beherrschen. Warum? Weil auf diesem Schmuckstück hier das zügige Schreiben nicht mal im Ansatz funktionieren würde. Könnte man doch nur den Klang dieses Schätzeleins aus 1939 ebenso niederschrieben. Aber nein, hierzu braucht es eben die alten Ohren. Das Geklappere der Tasten und das Glöcklein am Ende der Zeile kann nur von ihr kommen. Ich bin knapp zu jung, um je einen Commodore 64 besessen zu haben. Ich bin allerdings alt genug, um zu wissen, was vor den Computern in den Schreibstuben dieser Welt verwendet worden ist. Manchmal wünsche ich mir diese Zeit zurück. Ich bin in einer Epoche aufgewachsen, die es so nie mehr geben kann und die ich nicht missen will. Wir waren draussen. Wir haben uns mit einem Telefon, das fix an der Wand gehangen ist, angerufen. Und ja: Ich gehöre dieser übriggebliebenen Generation an, die ohne Internet geboren wurde. Die letzte Dekade von Menschen, die weis, was ein Röhrenbildschirm ist und die es gekannt hat, beim Umschalten von DRS auf ARD aufstehen zu müssen. Mittlerweile schaut niemand mehr solche Sender. Als Musikaffiner habe ich es sogar geliebt, vor dem laufenden Radio zu sitzen und im entscheidenden Moment mit der Rec-Taste die begehrten Songs mit dem Kassettenrecorder aufzunehmen. Und wehe, der Herr Moderator hat bei «Shine on you crazy diamond» den Anfang vertextet oder bei «Still got the Blues» das lange Soli am Schluss rücksichtslos ausgeblendet. Morden hätte man ihn schon damals können gekonnt. Ups, jetzt bin ich etwas abgeschweift. Dafür entschuldige ich mich. Wir hatten es ja vom Zehnfingersystem. Nachdem ich die halbe Seite getextet habe, muss ich gestehen, dass ich an den beiden Zeigefingern bereits leichte Schrammen davongetragen habe, nur weil ich die Taste nicht so ganz getroffen habe und der besagte Fingerling fadengerade in die hochkomplexe Mechanik der einzelnen Tasten verirrt hat. Tja, ihn dort runter zu stecken ist ja eines. Aber ihn wieder herauszupfriemeln ist schier unmöglich ohne Schäden an der Verpackung davonzutragen. Und das Verrückte daran ist, dass ihr, die ihr diesen Text lest, immer noch nicht wisst, was ich denn für ein Theater mache. Ich darf kurz ausholen: Da ich eben ja auf alten Mist stehe, habe ich mir auf Ricardo eine originale, in die Jahre gekommene Schreibmaschine ausgesucht. Für die, die jetzt wieder mal betagter sind als ich: Das ist eine Auktionsplattform mit alten und gebrauchten oder eben nicht mehr verwendeten Sachen. Und für die, die soviel jünger sind als ich, dass sie nicht wissen, was eine Schreibmaschine ist: Benutzt Brockhaus, Google, Wikipedia, Facebook, TripAdvisor, was auch immer. Ihr schafft es, ich glaube fest an euch. Ebendieses Gerät ist heute angekommen. Und wie ihr zu eurem eigenen Leidwesen feststellen müsst (Leidwesen, da es in einem fort textet), macht sie unglaublichen Spass. Man kann nicht eben mal falschgetippte Buchstaben korrigieren. Falsch bleibt falsch und wird gnadenlos durchgestrichen oder brachialst zur Unkenntlichkeit überschrieben. Die Art, wie die Maschine zudem verpackt und dokumentiert angekommen ist, begeistert gleich doppelt. Der liebe Verkäufer, Hanspeter aus L., sei ganzheitlichst umarmt. Er hat mir eine riesengrosse Freude damit bereitet. Das werde ich ihm gerne mitteilen. Nur werde ich das doch per Mail schreiben. Wobei Briefe sind ja altbacken. Warum denn nicht hier tun? Mach’ ich doch. Wir überraschen mal live den Hanspeter aus L. in der Hoffnung, dass es irgendwann mal von ihm gelesen wird. Es wäre mir eine Ehre und eine Freude. Lieber Hanspeter Zu allererst entschuldige ich mich für die ordinäre Duzform. Die hat aber einen triftigen Grund: Wenn ich deinen Nachnamen hier hinschreibe, belästigen dich unvermittelt wegen mir eine Horde Anthropologen oder Altstoffsammler. Und diesen Gring möchte ich dann schon mal gar nicht hinhalten müssen. Des Weitern kann es passieren, dass du als passionierter und erstklassiger Schreibmaschinenrestaurator mit einem Mal dermassen von Laufkundschaft überrennt wirst (warum heisst es denn in diesem Kontext nicht Rennkundschaft?), was es mir wiederum verunmöglicht, andere hübsche Artikel bei dir kaufen zu dürfen, weil du so heillos ausverkauft sein würdest. Darum das «du». Deshalb die stille und halt etwas forsche Zurückhaltung, was deinen Nachnamen betrifft. Aber ja: Ich bedanke mich von Herzen bei dir für die tadellose und liebevolle Lieferung. Ich habe eine Riesenfreude an einem legendären Stück Zeitgeschichte. Wow, 1939. Zwei Jahre später ist mein Vater geboren. Ist der Geburtsschein meiner Mutter hierauf getippt worden? Oder Winston Churchill hat die Nicht-Kapitulation Englands damit verfasst. Dies schliesse ich aber gleich wieder aus: Im Innern der Hermes finde ich keine Zigarrenasche. Und man stelle sich nur mal am Rande vor, wenn der Herr Churchill mit seinen Wurstfingern in der Mechanik dieser Tasten stecken geblieben wäre. Der hätte kapituliert... vor einer Baby. So oder so danke ich dir bestens, lieber Hanspeter. Bei passendem Jazz und mit einer alten Hermes Baby gleich ein Stückchen kreativer zu werden, versüsst einem ungemein den Tag. Und macht Lust auf mehr. Im Grunde fehlt nur das Glas Wein zum puren Glück. Ich wünsche dir, Hanspeter (und ebenso wünsche ich es der Welt von Herzen) dass du viele neue Kunden bekommst, die dem hochtransformierten iPad abschwören, um sich endlich wieder an einer alten Hermes so richtig fachmännisch die Klööpen einzuklemmen. Eben nicht Touchdisplay, stattdessen Geschepper ohne Ende. Und alleine die Vorstellung, dass dieses zauberhafte Geklapper die Nachbarschaft nicht schlafen, sondern aufhorchen lässt, reizt ungemein, um Stunden weiter zu klappern. Es grüsst dich ein stiller Fan. aedu.be - März 2019 Ich werde ein Buch verfassen. Schon lange spiele ich mit der Idee, meine Gedanken in Worte zu fassen, ohne zu wissen, weshalb. Manche sagen, ich könne mich ausdrücken. Unterhaltsam, wortgewandt. Wie auch immer. Ich schreibe. Denkbar, dass der Wunsch zum Schreiben daraus gewachsen ist, dass ich geschmackvolle und völlig überteuerte Schreibgeräte liebe und während vieler Jahre eine beachtliche Anzahl solcher angeschafft habe. Die meisten davon sind schwarz und haben in der Kappe ein weisses, sechsseitiges Emblem.
Hörst du das leichte Kratzen der Feder über ein nicht gestrichenes Papier? Ist es nicht fesselnd? Das Aufziehen der Tinte aus dem Tintenfass in den Füller und immer etwa einen Klecks auf dem weissen Blatt oder auf den Fingern. Und nicht zuletzt der erlösende Abbau von überschüssiger Energie beim Zerknüllen des Bogens. Oldstyle eben. Altbacken werden sie sagen. Aber das ist wieder in. Sowie rasieren mit dem Messer. Und für einen, den sie nach der Halbzeit zurück ins Feld gelassen haben durchaus passend. Im Grunde bin ich ein Hipster, ohne zu wissen, wie das gelingt. Da ich alten Kram grundsätzlich nicht verabscheue, hätte eine in die Jahre gekommene Remington-Schreibmaschine einen unglaublichen Reiz. Ich hatte als Kind mal eine vom Patenonkel geschenkt bekommen. Leider keine Remington, die wäre in Ehren gehalten worden. Die hatte just beim «a» einen Fehler und statt eines a’s gab es jeweils in regelmässigem Abstand ein gehöriges Loch durchs Farbband hindurch gleich ins Papier. Das war was. Und hatte Stil ohne Ende. Dann also eine Remington? Warum denn nicht. Und trotzdem sitze ich jetzt mit einem Laptop vor dessen Bildschirm und finde es irgendwie praktischer. Zeitgemässer halt. Obwohl das nicht wertend ist. Es ist lange nicht alles besser, nur weil es modern ist. In einem Artikel hatte ich mal gelesen, die Schreibmaschine von Stephen King habe einen Defekt beim «n» gehabt. Kaputte n’s verpflichten also zu Weltruhm. Zum Glück funktioniert mein «n» wie geschmiert. Was berechtigt einen zum Schreiben? Ist es notwendig, dass er viel erlebt hat? Muss er etwas zu sagen haben? Vielleicht macht er es nur für sich allein, in der Annahme, dass das nie jemand lesen wird. Denn wer nicht wagt, gewinnt schon mal gar nichts. Und damals vor zehn Jahren haben alle geschrien, selbstständig zu werden sei zu riskant. Dennoch bin ich es. Seit langer Zeit mein eigener Vorgesetzter. Mit vielen Risiken, die dies mit sich bringt. Demnach kann ich doch tun und lassen, was ich will. Das zur Berechtigung. Eine Jede und ein Jeder soll schreiben, was ihn dünkt. Nur lesen muss es ja dann nicht so ein Mancher. Viele Bücher habe ich gelesen. Über das Schreiben und andere. Die Geschichte soll geplant sein. Da benötigst du zuerst einen Plot, einen Handlungsstrang. Danach musst du Figuren entwickeln und ihnen Leben einhauchen. Abwägen, welche deiner Rollen das Zeug zur Hauptfigur hat und welche eben eine Nebenrolle übernimmt. Wenn ich das wüsste. Geschweige denn: wenn ich nur einen Hauptcharakter kreiert hätte. Persönlichkeiten entwickeln liegt mir halt nicht. Dann wird es ein Sachbuch. Über das Bauen am besten. Das kann ich nach all den Jahren. Meine es zu können. Wie dem auch sei, es kommen immer noch Kunden in mein Geschäft und wollen mich für eben dieses Fachgebiet. Aber ich versuche mich ja hier in einer einfallsreichen Freizeitbeschäftigung. Ohne zu sollen und zu müssen. Und Bauen ist etwa zu fünf Prozent kreativ und zu den restlichen fünfundneunzig Prozenten harte Arbeit, so wie manch eine andere Beschäftigung auch. Man stelle sich mal vor, ich hätte damals als Krankenschwester abgeschlossen. Gibt mir das die Berechtigung, eine Pflegeanleitung zu schreiben? Und würde die jemand lesen? Dann aber ebenso gefälligst nichts zum Bauen. Mit Sicherheit nicht. Demnach ein Sachbuch über andere Qualitäten geben. Wenn ich nur wüsste, welche. Das Heimwerken, was ich bei meinem Vater abgeschaut habe. Das Musikmachen, das mir anderweitig zugeflogen kam. Wer liest denn ein Buch, das vom Gitarrenspielen handelt? Oder eine Schritt für Schritt Anleitung über das Bilderaufhängen? Genau. Niemand. Demnach halt kein Sachbuch. Ein Kriminalroman. Das wäre herausfordernd. Gibt es die nicht schon ausreichend? Ich lese sie gerne, aber da sind wir wieder bei den Plots und den Figuren… ich lasse es bleiben. Nicht das Schreiben, nur den Roman. Schau aus dem Fenster, hör in der Siedlung, in der du wohnst genau hin. Sprich mal drei Sätze mit der Kioskfrau und amüsier’ dich über das frisch verkrachte Ehepaar im Bus. Da sind Figuren und Handlungen zuhauf. Alle echt. Gratis und franko direkt an die Haustüre geliefert. Und gleich so unverwüstlich wüstlich. Mit einer Portion verlogener Ehrlichkeit und haufenweise übersteigertem Selbstwertgefühl. Nimm die. Somit schreibe ich doch über das Leben, ich freue mich drauf. Dann wird es halt ein Tagebuch. Genau! Das hat ja jetzt noch gefehlt. Ein Tagebuch, nein schlimmer: m-e-i-n Tagebuch veröffentlichen. Das kommt gar nicht in Frage. Und wann kommt es denn heraus? Am Ende des Tages? Wenn das Leben fertig ist? Alle zehn Jahre, mit jeweiligen Folgebändern? Nach vierzig Jahren dann: «ich 4.0, nur älter». Voilà, kein Tagebuch! «Hör auf» bemerkt die eine Synapse leise aber nicht undeutlich an meinem Mittelohr. «Mach mal was, vielleicht wird es ja ganz unterhaltsam» sagt eine andere. Ich bin mir sicher: Diese eine, alles entscheidende Synapse hat eine Direktverbindung zur Leber: Wie sonst hält man so verbissen an einer Schnapsidee fest? Was mich trotzdem nicht in Ruhe lässt, ist die Hauptfigur. Es braucht sie dann doch. Nur: bin ich das? Ja, bis jetzt schon. Klar. Wenn das mit dieser Schreiberei Spass macht, wer interessiert sich denn aber dafür, immer Texte im Ich-Stil lesen zu müssen. Und wäre es nicht reizvoll, mal die Storys etwas auszuschmücken und nicht nur bei der Wahrheit zu bleiben. Oder Elemente hinzuzufügen, die so gar nie geschehen sind. «Alter Ego» nennt sich das. Wikipedia meint, das kommt aus dem Latein und steht für «das andere Ich». Wow, ein alternatives Ich. Toll. Der darf dann. Alles. Der darf dann alles, was ich will. Und der liebe Leser weis damit nie so genau, in welcher Siedlung sich die Geschichte abspielt und aus wessen Fenster denn geguckt wird. So mache ich das. Wenn er sich etwas etabliert hat, taufen wir ihn Heinrich. Nicht heute, aber so soll er heissen. Zuletzt gilt es, die Länge und den Schreibstil zu definieren. Den Stil kennst du seit zehn Minuten. Entscheide selbst, ob er dir zusagt oder nicht. Verändern kann ich ihn kaum, es ist meiner. Aber mit dem Schreiben wird er sich sicher vermutlich verfeinern. Zur Rechtschreibung gibt es im Übrigen zu sagen, dass bei meinem Computer nicht etwa die Shifttaste hinüber ist. Das kommt daher, dass ich nie ein brauchbares Zehnfingersystem gelernt habe. Vielmehr ein mittlerweile ausgeklügeltes Fünffingersystem. Blitzschnell wage ich zu behaupten. Und da es so stürmisch ist, bleibt kaum Zeit noch für Grossbuchstaben zu sorgen ohne den nächsten Tippfehler zu machen. Und darum habe ich mir vor zehn Jahren die Grossbuchstaben abgewöhnt. Gehen wir also bitte entschuldigend damit diesem Missstand um. Sagen wir einfach, ich schreibe mit einer Remington, und deren Grosstaste klemmt unwiederbringlich. Die Länge der Erzählung ist ein anderes Kapitel. Wenn es denn überhaupt solche gibt. Werden Fenstergeschichten an einem Stück erzählt? Vermutlich nicht. Vielmehr ist das doch eine Verkettung von vielen kleinen Geschichten hinein in ein ganzes Leben. Demnach wären Kurzgeschichten etwas. Wir werden sehen. So eine Art Kolumne. Ich lese gerne mal die Beiträge von Tageszeitungen. Die sind kurz, knackig, beliefern uns in fünfzehn Leseminuten mit einem neuen Denkanstoss oder sie bringen dich zum Schmunzeln. Das macht man heutzutage viel zu wenig. Neuanglodeutsch heisst das ja bloggen. Und für Menschen, die jetzt älter sind als ich: Ein Blog ist so eine Art öffentliches Tagebuch. Der Schreiber bloggt seinen Tagesinhalt mitsamt Bildern seines Mittagsmenüs auf ein Onlineportal und wünscht sich dann, dass es in der grossen weiten Welt gelesen wird. Zum Glück kaufen heute viele Menschen stets Bücher. Etliches spielt sich aber eben online ab, und das hat Vorteile. Es erspart die Verlagssuche, die Restriktion was den Inhalt angeht und sonst so einiges. Ja: Ich habe wirklich Bücher über das Schreiben konsultiert. Demnach kann man einen Gedanken in die Tastatur der Remington hämmern und ab ins Netz damit. Nur eben ohne Netz und doppelten Boden. Und wichtig: bitte keine Bilder des Mittagessens. Adieu du schöner Text, auf das du gelesen wirst. aedu.be - Januar 2019 |